03.04.2020
Weg nach ganz oben ist beschwerlich – Von Torwart Thomas Kraft und Verteidiger Daniel Buballa bis hin zum Weltmeister und Trainer Jürgen Kohler
Profi werden, seinen Lebensunterhalt mit Fußball zu verdienen – davon träumen zahlreiche Nachwuchstalente. Die wenigsten schaffen es. Unter diesen Wenigen sind auch einige, die ihre erste fußballerische Ausbildung im nördlichen Rheinland-Pfalz erfahren haben. Doch Profi zu werden – unabhängig von Corona – bedeutet nicht, dass die Karriere immer nur in eine Richtung geht.
Sportfreunde Daaden, VfB Wissen, SG Betzdorf – das sind die Stationen von Torwart Thomas Kraft während seiner Jugendzeit. Dann 2004: Ein Traum wird wahr. Der 15-Jährige wechselt zu den B-Junioren des großen FC Bayern München. A-Junioren, U 23-Mannschaft – Kraft entwickelt sich bestens und darf in der Rückrunde der Saison 2010/2011 unter Trainer Louis van Gaal 16 Mal in Folge ran. Problem nur: Die entscheidenden Spiele – in der Liga gegen Dortmund, im Pokal gegen Schalke, in der Champions League gegen Inter Mailand – verlieren die Bayern, van Gaal muss gehen.
Für die neue Saison steht Manuel Neuer als Neuzugang schon fest, Kraft will aber nicht wieder auf die Bank zurück. Da kommt der Anruf aus Berlin gerade recht: Seine neunte Saison bestreitet Kraft aktuell für die Hertha, für die er bislang 115 Bundesliga-Spiele bestritt. „Sein Wort hat in der Kabine Gewicht“, erklärte Hertha-Manager Michael Preetz im April 2019 die Vertragsverlängerung von Kraft, obwohl der mittlerweile nur noch die Nummer zwei hinter dem Norweger Rune Jarstein ist.
Einer Rotsperre Jarsteins verdankt es Kraft, dass er im November 2019 bei Jürgen Klinsmanns erstem Spiel als Hertha-Trainer wieder ran darf. Doch Klinsi hält anscheinend wenig von Kraft: „Ständig krank oder verletzt, keinen Mehrwert mehr. Vertrag auslaufen lassen“ lauten die Einschätzungen des Weltmeisters von 1990, die kürzlich in der Sport-Bild veröffentlich wurden.
Was bleibt Kraft übrig, als weiter Gas zu geben? So kursierte kürzlich ein Video, in dem Kraft Klinsmann auf die Schippe nimmt, indem er nach einer gelungenen Aktion im Training für alle Anwesenden hörbar betont: „Ja, aber ich muss doch den Mehrwert steigern.“ Womöglich stellt sich Klinsmann für die Hertha noch als ein demokratisierendes Element heraus, indem die überwiegende Mehrheit spätestens nach seinem Abgang gegen ihn ist und dadurch ein neues Gemeinschaftsgefühl entsteht. So zumindest würde Weltenbummler Klinsmann sein eigenes Scheitern noch schönfärben.
Ein weiterer Torwart aus dem Kreis Altenkirchen, der es auf die große Fußballbühne geschafft hat, ist Marcel Schuhen. Der in Kirchen geborenen Keeper, der aus der Jugend der JSG Mudersbach/Brachbach hervorgegangen ist, verließ die Heimat als C-Jugendlicher in Richtung Köln. Bis zur Winterpause der Saison 2014/2015 blieb er dem FC treu und brachte es in der Regionalliga auf 63 Pflichtspieleinsätze zwischen den Pfosten der zweiten Mannschaft. Um den „nächsten Schritt“ in seiner Karriere zu gehen und weil er eine neue sportliche Herausforderung gesucht habe, wechselte Schuhen im Februar 2015 zum Drittligisten FC Hansa Rostock. Und es ging noch höher hinaus: Im Sommer 2017 unterzeichnete der Siegerländer einen Vertrag beim Zweitligisten SV Sandhausen. Nach zwei Jahren beim SVS schloss sich der heute 27-Jährige dem Ligakonkurrenten SV Darmstadt an.
Die Saison begann mit einem Armbruch im August denkbar ungünstig, aber inzwischen ist die Verletzung längst ausgeheilt und der Brachbacher blieb mit seinem Team vor der Saisonunterbrechung aufgrund der Corona-Krise zehn Mal in Folge ungeschlagen. Schuhens Torwarttrainer bei den Lilien ist im übrigen Ex-Profi Uwe Zimmermann (u. a. SV Waldhof Mannheim, VfL Wolfsburg), der als Torwarttrainer auch schon bei den Sportfreunden Siegen tätig war (1.3.2007 bis 1.5.2008 und von 2012 bis 2014). Als Cheftrainer coachte Zimmermann, der es in den 1980er- und 1990er-Jahren auf mehr als 600 Profispiele brachte, vom März bis Juni 2013 den westfälischen Landesligisten SuS Niederschelden, mit dem er den Klassenverbleib schaffte.
Quasi aus Schuhens Nachbarschaft kommt Sascha Mockenhaupt, der aktuell mit dem Zweitligisten SV Wehen Wiesbaden um den Klassenverbleib kämpft. Der Name Mockenhaupt ist im Westerwald mehr als geläufig: Saschas Vater Jörg trainiert Bezirksligist SG Weitefeld, wo Saschas Bruder Jan-Niklas auf Torejagd geht. Womöglich fand auch der ein oder andere familiäre Plausch bezüglich gemeinsamer Probleme schon statt: Weitefeld hat von den Teams der Bezirksliga-Spitzengruppe die meisten Gegentore kassiert.
Beim SVWW war es zu Saisonbeginn genauso. Die Folge: Trainer Rüdiger Rehm stellte von Vierer- auf Fünferkette um. Mockenhaupt ist hier gesetzt, aber längst nicht mehr außen, sondern im Zentrum. Umfunktioniert wurde er in Kaiserslautern vom damaligen Trainer der zweiten Mannschaft, Alois Schwartz, der Mockenhaupts Zweikampfstärke erkannte. Aus der Zeit in Kaiserslautern resultieren auch Mockenhaupts Erfahrungen mit Geisterspielen, die nun drohen: Kaiserslautern II musste wegen DFB-Auflagen seine Heimspiele in der WM-Arena austragen bei einer Stadionauslastung von unter einem halben Prozent. „Das kam einem Geisterspiel schon sehr nahe“, erinnert sich Mockenhaupt, der seit Anfang 2016 in Wiesbaden kickt. Nach einem Intermezzo in Norwegen und dem Abstieg seiner Mannschaft Bodö/Glimt am letzten Spieltag war es der Wunsch, wieder in die Heimat zurückzukehren, auch weil sich Nachwuchs angemeldet hatte. Vom Abstiegsplatz in der 3. Liga kam der Wehen-Wiesbaden schnell weg und kickt nun eine Klasse höher. Doch hier stoßen Mockenhaupt und Kollegen oft an ihre Grenzen, da aufgrund der höheren Qualität der Gegner auch kleine Fehler schnell bestraft werden und die eigene Offensivabteilung bisweilen unter Ladehemmung leidet. Aufgrund seiner Schnelligkeit, Zweikampf- und Kopfballstärke ist Mockenhaupt ein wichtiger Stützpfeiler der Mannschaft und zurecht guten Mutes, dass die Saison, sobald sie denn fortgesetzt werden kann, ein positives Ende nimmt. In der Zwischenzeit widmet sich „Mocke“ dem E-Sport: Er gehört seit dem Jahresbeginn zum SVWW-Team der Virtuellen Bundesliga in der Kategorie „FIFA 20“.
Was Mockenhaupt anpeilt, hat ihm Daniel Buballa bereits voraus: Der Außenverteidiger vom FC St. Pauli ist längst etablierter Zweitligaspieler und kann bereits 228 Spiele im Unterhaus des Deutschen Fußballs vorweisen. Buballa begann seine Fußballerkarriere als Sechsjähriger beim TuS Asbach. Los ging es im Seniorenbereich beim SV Roßbach/Verscheid unter Trainer Stefan Krämer. Dort wurde der 1. FSV Mainz auf den schnellen Linksverteidiger aufmerksam.
Der Sprung zu den Profis war noch zu groß, aber er galt aufgrund seiner Sprintstärke als einer der Lieblingsschüler von Regionalliga-Trainer Martin Schmidt. Zwei Jahre in der 2. Bundesliga beim VfR Aalen folgten – eines gemeinsam mit Sascha Mockenhaupt – , ehe er 2014 in Hamburg anheuerte. Dort ist er mittlerweile sogar Kapitän und ebenso wie Mockenhaupt von hinten links in die Mitte gerückt. Sollten die Paulianer ihre Auswärtsschwäche ablegen (erst ein Sieg in der Fremde – genauer gesagt: im Stadtderby beim HSV), sollte der vorzeitige Ligaverbleib möglich sein. Ansonsten stünde am letzten Spieltag das Duell Wehen Wiesbaden – St. Pauli an, sofern Corona es zulässt. Nicht auszuschließen, dass es dann für die beiden ehemaligen Teamkameraden Buballa und Mockenhaupt um verdammt viel geht.
Dritte Liga – davon ist Matheo Raab noch ein gutes Stück weit entfernt. Er ist einer von fünf Torhütern im erweiterten Kader des 1. FC Kaiserslautern. Die Trikotnummer 40 steht schon bereit für ihn. Bei den Sportfreunden Eisbachtal feierte er, noch dem jüngeren A-Junioren-Jahrgang angehörig, im Sommer 2015 sein Debüt in der Rheinlandliga, und in Kreisen der Mitspieler wurde nach seinem ersten Sieg, damals gegen TuS Rot-Weiß Koblenz, gewitzelt, der 16-Jährige würde in dieser Nacht noch seine Unschuld verlieren. Seinem Wechsel zu Eintracht Trier, wo er in den Aufstiegsspielen zur A-Junioren-Bundesliga am SV Wehen Wiesbaden scheiterte, folgte 2017 der nächste Schritt, der ihn nach Kaiserslautern führte. Der kürzlich beim FCK geschasste langjährige Torwarttrainer Gerry Ehrmann genießt nicht umsonst den Ruf, einen Blick für Talente zu haben und diese entwickeln zu können. Doch die Konkurrenz ist groß, und die 26 Oberligaspiele, die Raab in zweieinhalb Jahren absolviert hat, schaffen andere locker in einer Saison. Es bleibt abzuwarten, welche Vorstellungen Ehrmanns Nachfolger haben wird. Raab fällt auch in der kommenden Saison noch unter die U 23-Regelung, und solche Spieler sind in der Regionalliga immer gefragt.
Ganz große Spuren in der Region hat Marius Kröner nicht hinterlassen. Als Innenverteidiger und defensiver Mittelfeldspieler lief er für die Oberligisten SV Roßbach und SpVgg Burgbrohl immerhin 133 Mal auf. Nach Stationen beim TuS Erndtebrück und der Hammer SpVg landete er 2019 beim SV Lippstadt in der Regionalliga West. Den Westfalen droht allerdings das Schicksal einer Fahrstuhlmannschaft, wenngleich der Kreis der abstiegsbedrohten Teams in dieser Liga sehr groß ist.
Stichwort Fahrstuhl: Da würde Oberligist TSV Schott Mainz auch gerne noch ein letztes Mal einsteigen, nachdem die Regionalliga-Saison 2017/2018 nur ein kurzes Gastspiel war. Als Spitzenreiter der Oberliga stehen die Chancen aktuell gut, wieder in die 4. Liga zurückzukehren. Stürmer Janek Ripplinger, der 2016 von der SG Mülheim-Kärlich in die Landeshauptstadt wechselte, ist dort durchgestartet und kommt auf 80 Tore in etwas mehr als dreieinhalb Jahren. Im defensiven Mittelfeld agiert Yannick Rinker, der bereits für TuS Koblenz, die Spvgg EGC Wirges und den FC Karbach auflief und für die U 19 des 1. FSV Mainz sogar Bundesligaluft schnupperte.
Nicht nur Spieler haben oft einen interessanten Werdegang hinter sich, auch einige Trainer schlagen solche Wege ein. Der Schlüssel dafür ist aus Papier. Genauer gesagt: Es geht nicht ohne die Fußballlehrer-Lizenz. Stefan Krämer besitzt sie. Dabei erwies sich der Lehrgang, bei dem der langjährige Trainer des SV Roßbach Markus von Ahlen kennenlernte, als Glücksfall. Krämer fungierte zunächst als Assistent von Ahlens in Bielefeld, beerbte ihn schließlich und gilt seit dem Aufstieg mit den Arminen 2013 dort als Held. Bei seinen späteren Stationen, FC Energie Cottbus, FC Rot-Weiß Erfurt, KFC Uerdingen, sorgte er ebenfalls schnell für frischen Wind und sportlichen Aufschwung. Wie lange ein Aufschwung anhält, dazu hat natürlich jeder eine andere Meinung. Und Krämer hätte gewarnt sein müssen, da er selbst den KFC in der Regionalliga auf Platz zwei liegend übernahm und die Entlassung seines Vorgängers Michael Wiesinger in erster Linie den Launen von KFC-Investor Mikhail Ponomarev zuzuschreiben war, nicht etwa sportlichen Gründe hatte. Krämer selbst musste im Januar 2019 den Trainerposten räumen, nachdem er den Aufstieg in die 3. Liga geschafft hatte und sich mit dem KFC in der oberen Tabellenhälfte befand. Krämer ist jedoch nicht nachtragend: Nachdem sein Engagement in Magdeburg nur wenige Monate andauerte und der KFC erneut bei ihm anrief, wurde er am 10. März erneut als Trainer in Uerdingen vorgestellt. Die Reaktionen waren breit gestreut: Einerseits freuten sich große Teile der Fanszene über die Rückkehr des Aufstiegstrainers, andere vermuteten einen vorgezogenen Aprilscherz, wieder andere hatten infolge der regelmäßigen Trainerwechsel beim Pokalsieger von 1985 längst gelangweilt abgewunken. Für das, was der KFC an Trainerabfindungen oder doppelten Gehältern zahlen musste, hätte man auch das Grotenburg-Stadion in Krefeld drittligatauglich machen können. Der KFC ist nämlich „heimatlos“: Nach dem Aufstieg 2018 trug der Ex-Bundesligist seine Heimspiele erst ein Jahr lang in Duisburg aus, aktuell hat der KFC sich in Düsseldorf eingemietet.
Von Düsseldorf wiederum ist es geografisch kein weiter Weg nach Köln. Hier hat Stefan Ruthenbeck sein Glück gefunden. In Köln geboren, waren TuS Mayen und die Spvgg EGC Wirges seine Stationen in der damaligen Oberliga Südwest. In der 2. Bundesliga ging es beim VfR Aalen und Greuther Fürth weiter. Hier schon spürte Ruthenbeck den großen Druck, dass jede Aktion, jede Kleinigkeit im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht und diskutiert wird. Auf seine Entlassung in Fürth im November 2016 folgten erstmals überhaupt mehrere Monate Beschäftigungslosigkeit, verbunden damit, in Ruhe Spiele beobachten zu können und zu überlegen, wie es weitergehen soll.
Es ging in seiner Heimatstadt Köln weiter, wo er die A-Junioren des FC übernahm. Dachte Ruthenbeck jedenfalls: In der Rückrunde 2017/2018 sollte er die Bundesliga-Profis vor dem Abstieg retten. Das misslang. Doch war die Rückkehr zu den A-Junioren keine Degradierung, sondern bedeutete, sich wieder in Ruhe dem zu widmen, was ihm liegt: Talente zu fördern, aufzubauen und an höhere Aufgaben heranzuführen. In der Westgruppe der A-Junioren-Bundesliga ist die Geißbock-Elf aktuell Spitzenreiter, knapp vor Dortmund, und Mönchengladbach. Zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigen Ort zu sein, das ist ein Gefühl, das Ruthenbeck kennengelernt hat und so schnell nicht wieder gegen den Posten auf einem Schleudersitz eintauschen wird.
Ex-Trainer von Wirges, jetzt als Trainer in der U 19-Bundesliga tätig, dass trifft nicht nur auf Ruthenbeck zu, sondern auch auf Jürgen Kohler, der die A-Junioren des FC Viktoria Köln trainiert. Seinen Abgang aus Wirges 2015 mit der Erklärung, er werde zu einem höherklassigen Verein wechseln, der sich dann als Wirges‘ Mitstreiter SC Hauenstein entpuppte, mögen ihm damals einige übel genommen haben. Gewissermaßen bedient er damit den WM-Fluch von 1990, da zahlreiche seiner damaligen Mitspieler (Matthäus, Klinsmann, Brehme, Möller etc.) als Trainer nur bedingt erfolgreich waren und nicht immer das beste Bild in der Öffentlichkeit abgegeben haben. Allerdings zieht es Kohler nicht in die große Öffentlichkeit, was ihn wiederum sympathisch macht. Ein „Star zum Anfassen“, der bei Spielbeobachtungen geduldig Foto- und Autogrammwünsche erfüllt, ist der einstige Dortmunder „Fußballgott“ geblieben.
Daniel Buballa ist mittlerweile Kapitän des FC St. Pauli, für den der er seit 2014 bereits 164 Spiele in der 2. Bundesliga absolvierte. Vom TuS Asbach im Westerwald führte der Weg den 29-Jährigen Verteidiger unter anderem über den SV Roßbach und den 1. FSV Mainz nach Hamburg.
Autor
Rhein-Zeitung