09.11.2020
Bezirksspruchkammer stellt bei Berufung den Einsatz von Filmaufnahmen nicht infrage – Aber Sperre wurde reduziert – Vorangegangene Szenen vor der Tat können in Bewertung einfließen
Dernau, Koblenz. Nein, einverstanden war der SV Dernau überhaupt nicht mit dem Urteil von sechs Spielen Sperre gegen einen Spieler seiner Mannschaft, das die Kreisspruchkammer des Fußballkreises Rhein/Ahr nach Ansicht einer Videosequenz aus der D-Klassenpartie SV Oberzissen III gegen die SG Dernau/Mayschoß II gefällt hat (die RZ berichtete). Nicht mit dem Strafmaß und schon gar nicht nicht mit dem Umstand, dass und wie besagte Videosequenz zur Beweisführung herangezogen worden ist. Weshalb der Verein Berufung einlegte bei der nächsthöheren Instanz, der Bezirksspruchkammer in Koblenz.
Und auch dieses nun gefällte Urteil stellt die Dernauer nicht so recht zufrieden, auch wenn das Strafmaß reduziert wurde von sechs auf vier Spiele Sperre. Was bleibt, sind die grundsätzlichen Bedenken, die sich im Hinblick auf den Videoeinsatz ergeben haben.
„Wenn wir schon über eine so vergleichsweise harmlose – in Anführungszeichen – Szene stundenlang debattieren, was passiert dann erst, wenn überall Kameras hängen?“
Der Dernauer Pressesprecher Rolf Schmitt
In besagter Partie hatte ein Dernauer seinem Gegner mit der Hand ins Gesicht gegriffen und anschließend eine wegwischende Bewegung gemacht. Was dem Schiedsrichter zwar entgangen war, nicht aber der Kamera von Soccerwatch TV, dem Sportportal, das die Partie live im Internet übertrug.
Dabei wird auf Höhe der Mittellinie eine Kamera aufgehängt und extern aktiviert, wenn das Spiel beginnt. Sie folgt im Idealfall dem Lauf des Balles, was allerdings nicht immer funktioniert, weil die automatische Kamera den Ball mitunter aus dem Fokus verliert und dann auch mal relativ ziellos über den Platz schweifen kann.
Da sich die hier nun verhandelte Szene zum einen hinter dem Rücken des Schiedsrichters abgespielt hat, somit auch keine Tatsachenentscheidung infrage gestellt werden konnte, und es sich zum anderen um eine, so die offizielle Bezeichnung, „krasse Sportwidrigkeit“ gehandelt hat, sah sich die Spruchkammer veranlasst, nach Ansicht der Videosequenz aktiv zu werden. Mit der Konsequenz von eben sechs Spielen Sperre.
Die grundsätzlichen Bedenken der Dernauer gegenüber dem Einsatz von Videos wurden nun bei der Berufung in Koblenz nicht eingehend verhandelt. Die nachträgliche Ahndung sei zulässig, so die Bezirksspruchkammer, und entspräche der Rechtssprechung im Fußballverband Rheinland (FVR). Das Video sei ein objektives Beweismittel und in dem vorliegenden Kontext auch zu nutzen.
Freilich kam die Kammer in ihrer Bewertung der Szene zu der Ansicht, dass es sich um einen „Grenzfall“ krass sportwidrigen Verhaltens handelt. Mildernd machte sich der Umstand bemerkbar, dass beide beteiligten Spieler, diesmal nun vor der Bezirksspruchkammer befragt, berichteten, es habe sich wohl eher nur um ein Wegdrücken gehandelt. Zum anderen hatten die Dernauer darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Szene schon andere vorangegangen waren, die zu einer gereizten Stimmung auf dem Platz beigetragen und die Spannung erhöht hätten: verbale Auseinandersetzungen, aber auch handfestere. „Wir haben nach wiederholter Ansicht der Situation wahrgenommen, dass der beteiligte Oberzissener vorher einen Spieler von uns versucht hat zu treten“, berichtet der Dernauer Pressesprecher Rolf Schmitt: „Und das haben wir in Koblenz dann auch gezeigt.“
Das aber hat nicht zur Strafminderung beigetragen, wie FVR-Rechtswart Norbert Weise deutlich macht: „Dafür hätte der Täter vom Opfer provoziert werden müssen.“ Was hier aber nicht der Fall gewesen war. Als strafmindernd hat die Kammer vielmehr eine mögliche verbale Provokation ihm gegenüber unterstellt, von der der Dernauer berichtet hatte, die sich aber auch mithilfe des Videos und der dazugehörigen Tonspur nicht beweisen ließ. „Wir haben es zu seinen Gunsten angenommen“, sagt Weise, der auch grundsätzlich betont: „Ein Spieler wird ja nicht ohne Grund gegen einen Gegner handgreiflich.“
Woran sich die Frage knüpft, wie weit eine Spruchkammer die Geschehnisse vor einem geahndeten Vorfall zurückverfolgt. „So lange wie man muss“, erklärt Weise, aber auch einschränkt: „Wobei es sich aber um eine fortlaufende Provokation handeln muss.“ Kann das nicht zu einem Fass ohne Boden werden? Muss sich die Spruchkammer dann nicht jedes Mal das ganze Spiel noch einmal anschauen? Auch hier widerspricht der Rechtswart: „Es ist am Täter, Bilder heranzuschaffen zu einer Strafminderung, nicht an der Kammer.“
Während vor der Spruchkammer mithilfe von Videos grundsätzlich nur Vorfälle sportwidrigen Verhaltens verhandelt werden, die hinter dem Rücken des Schiedsrichters passiert sind, können sich in der Verhandlung aber auch Szenen strafmildernd zugunsten des Täters auswirken, die der Schiedsrichter gesehen hat. „Eigentlich ist es dann ja doch ein Videobeweis“, meint der Dernauer Pressesprecher Schmitt, der auch weiterhin befürchtet, dass sich die Verhandlungen nach Ansicht von Spielaufzeichnungen häufen: „Wenn es bislang nicht so viele waren, liegt das daran, dass es noch nicht so viele Kameras gibt. Das wird sich aber ändern.“
Und dann, so fürchtet er, fühlten sich Schiedsrichter immer häufiger dazu genötigt, selbst Szenen noch einmal zu überprüfen und aktiv zu werden, so wie es jetzt eben auch in dem vorliegenden Fall geschehen ist. „Das hätte der Schiedsrichter aber gar nicht machen müssen“, hebt Weise hervor: „Ich kann es den Schiedsrichtern aber nicht sagen, sondern es ihnen nur empfehlen.“
Es sei zwar notwendig, strittige Szenen, auf die sie aufmerksam gemacht worden sind, im Spielbericht zu erwähnen, selbst die Initiative ergreifen müssten sie aber nicht. Das könnten dann die betroffenen Vereine. Fragt sich, ob die Unparteiischen sich aber nicht doch innerlich genötigt sehen, die Sache selbst noch einmal in Augenschein zu nehmen, wenn die Möglichkeit dazu besteht.
Derweil sehen es die Dernauer zumindest als einen kleinen Erfolg an, dass die Kosten des Berufungsverfahrens zu einem Drittel von der Verbandskasse übernommen werden. „Aus reiner Solidarität machen die das in Koblenz ja nicht“, meint Schmitt, dessen Unbehagen in dieser Sache aber grundsätzlich bleibt: „Wenn wir schon über eine so vergleichsweise harmlose – in Anführungszeichen – Szene stundenlang debattieren, was passiert dann erst, wenn überall Kameras hängen?“
Ob auch eine in Dernau angebracht wird, erscheint fraglich, jedenfalls überlegen die Dernauer nun, die schon bestellte Kamera wieder abzubestellen. Erst einmal warten sie die Antwort des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz, Prof. Dr. Dieter Kugelmann, ab, an den sie sich schriftlich gewandt haben mit Bitte um Aufklärung. Der Verein sieht den Umgang mit dem Datenschutz und der Informationspflicht in dieser Sache als nicht ausreichend an.
Autor
Rhein-Zeitung